Diskussion zu "Das Herzenhören" von Jan-Philipp Sendker

Das Buch spielt auf zwei Ebenen: einerseits in der Jetztzeit, wo Julia, die Tochter TinWin im Mittelpunkt steht, andererseits in der Vergangenheit, in der die Geschichte von Julias Vater TinWin spielt (dieser Teil wird von Julias Halbbruder Uba erzählt).

 

Julia, die am Anfang die Hauptperson zu sein scheint, wird im Laufe der Geschichte immer unwichtiger. Sie verändert sich auch als Person und wird immer verständnisvoller gegenüber der Position ihres Vaters. Dies ist nicht immer schlüssig dargestellt.

 

“Herzenhören” schildert eine Abfolge “verpasster Gelegenheiten”, Figuren, die sich vollkommen  dem Schicksal ausliefern.

 

Es gibt einen Bruch im Buch als der Onkle TinWin wegholt und alle Briefe von MiMi und TinWin unterschlägt. Hier kommt die andere Kultur zum Ausdruck, einem Astrologen wird vertraut. Der Onkel versucht Schicksal zu spielen. Die Familie ist schicksalsergeben, was man auch daran sieht, dass die Mutter TinWin verlässt. Dies wiederholt sich als TinWin seine Familie in den USA ebenfalls im Stich lässt. Auch Uba - Sohn von TinWin und MiMi gibt für seine Mutter alles auf. Über den Ozean hinweg verbindet TinWin und MiMi eine tiefe Verbindung: er kommt zurück als er spürt, dass MiMi im Sterben liegt.

 

TinWin wird blind, aber er lernt mit allen anderen Sinnen Dinge wahrzunehmen, wird nahezu “übersinnlich”. Doch durch die Operation, die sein Onkel zahlt, um einem negativen Schicksal zu entkommen, kann er wieder sehen. Dennoch ist er dadurch nicht glücklich, er war als Blinder mit der verkrüppelten MiMi glücklicher. Auf der anderen Seite ist ihm bewusst, dass seine Beziehung mit ihr nicht mehr gleichwertig wäre, da er nun sehend ist und sie nicht mehr als “Augen” bräuchte.

 

Judith, Julias Mutter und TinWins Ehefrau, heiratet ihn gegen den Willen ihrer Eltern. Als ihr klar wird, dass es evtl. die falsche Entscheidung war, weil sich TinWin nie öffnen wird, kann sie keinen Rückzieher mehr machen. Sie ist ein konsequent durchkomponierter Charakter.

 

Ein paar Fragen bleiben:

 

Warum schreibt TinWin nie an MiMi aus New York, denn dann wären die Briefe ja angekommen, da er sich außerhalb des Einflussbereiches seines Onkels befunden hat. Das ist für den Leser nicht erklärbar.

 

 

 

Wie viel Geschichtswissen erwartet der Autor vom Leser? Kann der Leser all das wissen, was notwendig ist, um die Anspielungen und die Geschichte tatsächlich zu verstehen?

Fazit: Das Buch hat seine Schwächen, alles in allem ist es schön geschrieben. Sendker hält den Leser bei der Stange. Er kann sich gut in die Mentalität der Asiaten hineinversetzen und sie glaubhaft schildern.